Rappen bis der Zahnarzt kommt

Yous39 & Rius Reiser and Friends liefern in Luises Garten in Magdeburg ein Konzert, das Spuren hinterlässt.

Text: Moritz Beasley

Yous39 auf der Bühne in Luises Garten in Magdeburg – gemeinsam mit Rius Reiser her er erstmals befreundete Artists zu einem eigenen Open-Air eingeladen. Foto: Farbnblind

Ein paar Stufen führen hinab, weg vom Straßenlärm, hinein in Luises Garten – ein Ort, der wirkt wie eine kleine Arena, irgendwo zwischen Beton, Buschwerk und Backsteinromantik. Von oben kaum zu erahnen, liegt er versteckt zwischen Mauern und Bäumen – eine Venue, die genauso unter dem Radar liegt wie die Musik, die hier gespielt wird. An diesem Freitagabend sind das: Yous39 & Rius Reiser die das erste mal ihre Freunde nach Magdeburg eingeladen haben. Kein Hochglanz-Rap, kein Pop-Entwurf, sondern Sound aus dem Untergrund: roh, direkt, ungeschönt.

Während oben noch Passant:innen an Geländern lehnen, füllt sich unten langsam die Fläche. Die Sonne steht tief, die Stimmung kippt in Erwartung. Noch ist es ruhig. Aber nicht mehr lange.

Während ich an der Bar auf mein Getränk warte, eröffnen die Hosts den Abend. Spürbar stolz und voller Dankbarkeit kommt Magdeburgs very own Yous39 auf die Bühne und heizt dem Publikum direkt ein. Unterstützt wird er von seinem langjährigen Wegbegleiter und Beatschmied Rius Reiser, dessen musikalische Wurzeln eigentlich in Jena liegen. Die eben noch entspannte Menge wird schnell zur gleichmäßig bouncenden Masse. Die Energielevel sind zu Beginn noch moderat – doch selbst von weitem ist zu erkennen: Die Crowd hat Bock.

Kein Podest, ein Treffpunkt

Kein Wunder, denn Yous und Rius haben in den letzten Monaten einige Meilensteine gesammelt: Splash!-Auftritte, ein Support-Slot für Luvre47 in Leipzig – und Yous’ nahezu makelloser Score beim Punchline-Quiz von Lugatti & 9ine.

Yous rappt meist auf modernen Trap-Beats – mal melodisch, mal mit Druck, immer mit einer Haltung, die nah an der Straße bleibt. Für viele im Publikum ist das nicht nur Musik, sondern auch ein Stück Identifikation. So wie Pashanim Berlin neu zeichnet, verpasst auch Yous der eher unauffälligen Ottostadt den Flair einer Metropole. Magdeburg bekommt Ecken, Kanten und eigene Coolness – und das spürt man an diesem Abend deutlich.

Trotz der wachsenden Aufmerksamkeit und Anerkennung wirkt bei den beiden nichts aufgesetzt oder abgehoben.
„Es bedeutet uns so viel, dass wir dieses Konzert heute veranstalten können“, sagt Yous nicht nur einmal im Verlauf des Abends. Die Bühne ist für sie kein Podest, sondern ein Treffpunkt.

Und diesen teilen sie großzügig. Immer wieder holen sich Yous und Rius an diesem Abend Verstärkung auf die Bühne – nicht nur aus Magdeburg, sondern aus ganz Deutschland. Eingeladen sind unter anderem Bella Bazz aus Duisburg, Yola aus Essen sowie Flybea und Whispers aus Berlin. Ein Kommen und Gehen, das dem Abend etwas Mixtapehaftes verleiht. Wer genau wann dran ist, verschwimmt im Wechselspiel der Performances. Manche Namen werden angesagt, andere gehen im Applaus unter. Aber es entsteht das Bild eines Kollektivs, das sich gegenseitig trägt.

Das erste Set bekomme ich nur am Rand mit – gerade noch am Warten, Reden, Ankommen. Ich maße mir kein Urteil an. Aber die Tatsache, dass Künstler:innen aus ganz Deutschland für diesen Abend anreisen, sagt einiges über das Netzwerk, das sich um Yous und Rius herum gebildet hat.

Ein kontrastreiches Lineup

Besonders hängen bleibt Bella Bazz aus Duisburg. Während die meisten Acts an diesem Abend aus der klassischen Rap-Schule kommen – Beats, Bars, Bounce – bringt er spürbar andere Farben ins Set. Akustische Melodien, eingängige Hooks, fast schon tanzbare Leichtigkeit. Für einen Moment wirkt es, als würde sich der Abend in eine neue Richtung neigen, bevor der nächste Bassdrop ihn zurückzieht. Doch genau dieser Kontrast tut gut – nicht als Bruch, sondern als Erweiterung.

Und auch wenn Bella Bazz damit einen musikalischen Gegenpol setzt, wird klar: Der Abend lebt von seiner Vielschichtigkeit – nicht nur inhaltlich, sondern auch klanglich. Umso ärgerlicher, dass die Technik da nicht immer ganz mitkommt. Die Anlage scheint mit den wuchtigen, basslastigen Produktionen stellenweise überfordert zu sein. An ein, zwei Stellen übersteuert der Sound hörbar – was vor allem bei feineren, melodischen Parts ein bisschen was von der Wirkung nimmt. Schade, denn man merkt, wie viel in den Sets steckt. Aber das ist Jammern auf hohem Niveau – die Energie kommt trotzdem an.

Und genau diese Energie trägt den Abend. Sie schwappt von der Bühne ins Publikum und zurück – gerade dann, wenn Yous nach kurzen Pausen mit umso mehr Druck zurückkommt. Das diverse Line-up tut sein Übriges: Es zieht ganz verschiedene Zuhörer:innen an. Die Mischung, die daraus in der Crowd entsteht, sorgt für eine offene, fast familiäre Atmosphäre.

Es endet mit einem Knall

Genau diese Offenheit nutzt Yous, um kurz innezuhalten. Gegen Ende des Auftritts nimmt er sich einen Moment Zeit, um an die Wurzeln der Kultur zu erinnern: „HipHop wurde von unterdrückten Minderheiten gegründet“, sagt er – und schiebt direkt hinterher, wofür er steht: gegen Hass, gegen Hetze, gegen Gewalt. Kein großes Pathos, aber Haltung. Er payed seine dues – und das spürt man. Selbst am Rand wird applaudiert. Zum Finale zieht es alle nach vorn.

Dann legt Rius nochmal nach – mit Tracks, die zwischen alten Klassikern und neuen Fan Favourites oszillieren. Darunter „Alt Sterben“ von Yous’ letzter EP „Espressogaro“ – deren Name sich auch auf dem ein oder anderen T-Shirt im Publikum wiederfindet. Und schließlich: „Wollweber“. Eine Hommage an Yous’ Heimatstadt Salzwedel, die im Publikum wie ein Stromschlag zündet.

Der Beat peitscht, die Moshpits toben – mittendrin Yous selbst. Als sich der Kreis wieder auflöst, kehrt er lachend auf die Bühne zurück: „Mir ist im Moshpit gerade eine Ecke von meinem Zahn abgebrochen.“ Kein Grund, den Abend zu beenden. Nach ausgiebigem Applaus folgen noch ein paar Zugaben – und das Gefühl, dass hier mehr entstanden ist als nur ein Konzert. Denn noch während der letzten Minuten deutet Yous an: Das hier war vielleicht nicht das letzte Mal, dass das kongeniale Duo seine Friends nach Magdeburg holt.

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